Digitalpakt

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foreword 5 Milliarden Euro stehen zur Verfügung. Laut BMBF »für jede [Schule] in Deutschland […] einen Betrag von 137.000 Euro oder […] 500 Euro pro Schüler.« Kleiner Rechentrick ist die Streckung auf 5 Jahre. Mithin hat jeder Schüler nur noch 100€ im Jahr. Was bekommt der Schüler für sein Geld?

Jeder kann sich beim Elektroniklieferanten seiner Wahl etwas Technik bestellen. Um an einem digitalen Leben teilzuhaben, braucht es ein Multimediagerät, etwas Verbindung zu einem Netzwerk, Bandbreite, Strom und …? Da ist eben noch nicht Schluss. Grundsätzlich könnte man diese Anforderung rein materiell befriedigen.

Eine Modellgrundschule hat 4 Klassenstufen zu je drei Klassen mit 15-25 Schülern. In summa wollen 180-300 Schüler einen multimedialen Zugang nutzen. Das geht nicht mehr mit der Infrastruktur von zu Hause. Als Netzwerktechniker würde ich 4 Netzwerke bereitstellen und in jedem Netzwerk einen Unterabschnitt je Klasse. So ist etwas Abschottung möglich und die Datenflüsse der Klassen können auch technisch voneinander getrennt werden.

Dafür braucht die Schule einige Kilometer Netzwerkkabel, ein Server-Rack und ein paar Einbaugeräte. Diese Geräte müssen nicht nur installiert, sondern auch konfiguriert werden. Und wenn sie dann laufen, brauchen sie Strom. Sie gehen während des Betriebes auch kaputt oder müssen gelegentlich aktualisiert bzw. umkonfiguriert werden. Mit 100€ im Jahr erhält niemand in Deutschland ein Smartphone oder Laptop, einen Breitbandanschluss und ein Service-Paket mit Gerätetausch, Installations- und Konfigurationsservice. Vielleicht kann die Schule das noch aus dem laufenden Budget etwas stützen? Eine Grundschule in Sachsen hat ein Budget von 20.000€ im Jahr (ca. 300 Schüler). Davon wird das Toilettenpapier bezahlt, eine Packung Dübel für den Hausmeister, sowie der ein oder andere Einrichtungsgegenstand für die Schulbibliothek, Kreide für die Tafel und natürlich Folien und passende Schreiber für den Polylux (Overhead-Projektor). Deswegen veranstaltet jede gute Schule einen Kuchenbasar. Sonst gäbe es keine Spielgeräte für den Hof, eine neue Farbschicht in der Umkleide der Turnhalle oder einen kleinen Imbiss für die fleißigen Eltern beim alljährlichen Frühjahrsputz/ Subotnik/ Schulgartenfest/ …

Doch zurück zur Netzwerkinfrastruktur: ganz gleich ob per Kabel und/ oder WiFi, sie hat einen Strombedarf von mind. 2-3kWh. Auf ein viertel Jahr gerechnet und zum Preis von 23 Cent/kWh kostet es ca. 1.500 Euro. Schüler haben nämlich Ferien und außerdem brauchen sie das Netzwerk nur tagsüber. Allerdings müsste man dann etwas verbauen, um das Netzwerk täglich korrekt herunterzufahren und wieder zu starten. Das wären nicht einfach nur Zeitschaltuhren. Diese Managementsysteme gäbe es und sie treiben die Installationskosten weiter in die Höhe. Und die Konfiguration eines solchen Netzwerkes, bzw. die verwendete Hardware, selbst wenn man sie gebraucht kauft, ist oft an Herstellerlizenzen gebunden. 4 ordentliche Gigabit- Switches, mit 48 Ports, VLAN-Fähigkeit, ordentlicher Verwaltungsschnittstelle (mindestens SSH mit ordentlichen Zertifikaten) und eine redundante Stromversorgung, fressen 70€ jedes Schülers auf.

Die Modellschule möchte auch den europäischen Datenschutzrichtlinien gerecht werden. Da Schüler aufgrund ihrer mangelnden Mündigkeit besonders schützenswert sind, entällt jede Ausschleusung persönlicher Daten. Damit entfallen alle Programme, die eine Anbindung an die Cloud haben. Keiner der Cloud-Anbieter kann bis zum heutigen Tag tatsächlich nachweisen, Daten nur in Europa zu verwalten. Und wenn man eine solche Garantie bekommt, dann ist sie gegenüber den Standardangeboten um ein Vielfaches teurer. Deswegen speichert die Schule alles redundant im einen Haus. Diese schlechte Idee behebt der kreative Netzwerktechniker mit der Kooperation dreier Schulen. Da sie ohnehin nicht einsam in Deutschland stehen, werden immer 3 Schulen so verbunden, dass die verschlüsselten Sicherungen an zwei anderen Schulen gespeichert werden. Keine der Schulen kann die Daten der jeweils anderen einsehen.

Womit wir bei der Verschlüsselung wären. Nicht nur die Systeme der Schule müssen eine vertrauenserweckende Schutzstufe haben. Jeder Schüler muss auf irgendeine Weise seine Daten für sich persönlich verschlüsseln können. Es darf nicht möglich sein, sie mit Administratorrechten einzusehen. Im Zuge der Datensparsamkeit dürfen auch nur Daten erhoben werden, die tatsächlich für die Schule relevant sind. Jeder Lehrer kann nun selbst entscheiden, ob er eine Papierliste für die Klassenfahrt führt und sich vor der DSGVO schützt, oder sie so ablegt, dass kein Unbefugter sie einsehen, manipulieren oder kopieren kann. Er darf nicht einmal aus Versehen die Liste mit Namen und Geburtsdatum oder Telefonnummer/ E-Mail der Eltern auf einen anderen Drucker schicken, der womöglich in einer anderen Schule steht und die ganze Liste ungefragt direkt ausgibt.

Bis zum vorigen Absatz war das Szenario noch irgendwie zu retten. Mittlerweile sollte jeder Leser ein ungefähres Bild davon haben, wieviel Blauäugigkeit zum Digitalpakt geführt hat. Jeder mit Kindern kann sich ja mal vor Augen führen oder im Elternrat fragen, warum die Kinder Laufzettel bzw. Informationsblätter mit Abschnitt nach Hause bekommen. Von 30 oder 50 Eltern haben vielleicht nur die Hälfte eine E-Mail-Adresse und davon verschlüsselt vielleicht ein einziger Elternteil die Kommunikation Ende-zu-Ende.

Wer diesen Digitalpakt geschlossen und gelobt hat, der hat entweder nichts im Kopf oder rechnete mit dieser unmöglichen Situation: keine Schule findet einen Administrator oder Technik-Personal, ein solches Projekt überhaupt zu planen zu marktüblichen Preisen. So sind nach einem Jahr Digitalpakt nur 20 Millionen Euro abgerufen. Rein rechnerisch haben 200.000 von 11 Millionen Schülern nun eine digitale Arbeitsgrundlage.

Kleiner Nachtrag zu Privatschulen: die haben einen Vertrag mit den Eltern und die Datenhaltung wird über die AGBs geregelt. Das hat dann nichts mehr mit DSGVO zu tun. Außerdem ist es an der Privatschule ein Statussymbol, die Hausaufgaben remote im Home-Office erledigen zu können, wenn man mit Scharlach isoliert wurde. (Die DSGVO entfällt dann natürlich nicht, aber im Kleingedruckten wird der elektronischen Verarbeitung ja umfassend zugestimmt.)