Saigon, Kabul, Bagdad, Damaskus, Kiev

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foreword Der Begriff Revolution leitet sich von der Vorsilbe re- für zurück und dem lat. volvere »rollen, wälzen« an. Ursprünglich wurde Revolution in der Astronomie verwendet, um Planetenumlauf bzw. die Rückkehr zum Ausgangspunkt zu beschreiben. Es ist auch mit dem sog. nation building der World Police (Schlachtruf FUCK Yeah!) immer wieder eine Rückkehr zum Ausgangspunkt.

Der erste Umlauf begann mit dem Engangement in Vietnam, das am Abgrund des Kommunismus stand. 1963 fing nicht besonders gut an und im Verlauf des Jahres unternahm einer der beiden Regierungsbrüder vermutlich Verhandlungen mit Ho Chi Minh. Ngô Đình Nhu fürchtete im Herbst eine Entmachtung durch die Amerikaner. John F. Kennedy und McNamara – der in seinen Memoiren von Selbstüberschätzung und Fehlern schreibt – planten zu der Zeit bereits Reduzierungen des Truppenkontingents. Ein vollständiger Rückzug bis 1965 war im Gespräch. (Hier kann sich niemand mehr herausreden, weil Kennedy Tonbandaufzeichnungen von Besprechungen anfertigen ließ. Bereits in den 1990ern wurde deren Veröffentlichung erwirkt. Die Ermordung Kennedys war noch immer nicht aufgearbeitet.) Die Südvietnamesische Regierung schätzten die Amerikaner als unzuverlässig ein. Eine mögliche Folgeregierung hätte ihrer Meinung nach die Situation nicht verbessert. Der US-Botschafter in Vietnam Lodge fragt in Washington offiziell nach, wie vorgegangen werden soll, wenn Süd Vietnam in Folge von Forderungen Nord Vietnams um Abzug der US-Truppen bittet. Ngô Đình Diệm und sein Bruder Nhu werden von Südvientamesischen Generälen gefangengenommen und erschossen. John F. Kennedy erfährt auf amerikanischem Boden ein ähnliches Schicksal. 1965 wird Napalm eingesetzt.

5 Jahre später trifft US Unterhändler W. Averell Harriman Lê Đức Thọ (Nord Vietnam) in Paris. Süd Vietnam ziert sich bis Jahresende. Die Punkte Nord Vietnams sind den Amerikanern bekannt. Man droht Süd Vietnam sogar, ohne sie/ über sie hinweg zu verhandeln. Es ist ordentlich Druck im Kessel. Eine moderne westliche Supermacht verhandelt mit einer kleinen kommunistischen Agrarwirtschaft. Deren Unterstützung durch die Sowjetunion und China ist nicht zu leugnen. 800.000 Soldaten Süd Vietnams und mehr als 500.000 Soldaten der USA stehen gegen ca. 400.000 »Kommizwerge« (Full Metal Jacket).

1975 beginnt Nord Vietnam die Frühlingsoffensive, nimmt Saigon ein und akzeptiert die Niederlage Süd Vietnams. Die Amerikaner evakuieren Staatsangehörige vom Dach der Botschaft mit Hubschraubern. Eine ungeheure Menge an Kriegsschrott, Blindgängern und Landminen bleibt bis heute zurück. (Wer mitgezählt hat: 2 Versuche für Rückkehr zum Anfang, eine Menge Leid im nicht-amerikanischen Wirtschaftsgebiet und der Sieg des Kommunismus, Weltenbrand, Untergang der westlichen Welt.)

Nächste Runde: Kabul, resp. Afghanistan. Eigentlich ist das eine weitere Erfolgsgeschichte des Kommunismus und natürlich des Kapitalismus. Sowohl von amerikanischer, wie von russischer Seite wird Vietnam als Metapher verwendet. So wird der KGB-Offizier Vladimir Kuzichkin zitiert, der Parallelen im Verlauf sieht. US-Vertreter sehen sich eher in der Aktiva und wollten Russland so lange wie möglich in Afghanistan binden. Deren Ziel war wenigstens klar, denn ein Krieg ist teuer und braucht Zustimmung in der Bevölkerung. Aber die mediale Inszenierung Vietnams und die Folgen für die US-Regierung zeigt ebenso Parallelen auf. Der Afghanistan-Krieg wird schließlich ergebnislos abgebrochen. Aber alle Beteiligten kommen noch einmal vor, sogar am selben Ort.

Erst müssen die Amerikaner aber nochmal Weltpolizei spielen. Der Irak besetzt Kuwait und muss in die Schranken gewiesen werden. Bei der zweiten Runde stehen Massenvernichtungswaffen im Raum, im Großraum, im Land wenigstens Putin macht Mut mit dem Hinweis, er hätte wenigstens solche Waffen gefunden. Am Ende müssen die Amerikaner sogar zugeben, dass sie für die Zeit nach dem Sturz der irakischen Regierung gar keinen Plan hatten. Sie befeuern aber noch anti-amerikanische Tendenzen durch Foltergefängnisse und medienwirksame Inszenierung der Befreier. Schnelldurchlauf: neue Regierung, Abzug, Unordnung, Islamischer Staat. Aber alle Beteiligten sind gleich wieder da, kurze Unterbrechung.

Der Kampf gegen den internationalen Terror muss ja auch noch geführt werden. Das Schreckgespenst Kommunismus wird einfach gegen al-Qāʿidah, Taliban, den islamischen Staat ausgetauscht. Da überschlagen sich die Ereignisse in der Welt. Einsätze sind fast überall zu stemmen. Sogar Deutschland mischt kräftig mit, mittlerweile sogar mit Kampfeinheiten. Dass Deutschland gar nicht in der Lage ist, einen Flughafen zu bauen (BER) geschweige denn einen zu betreiben (Kabul) oder wenigstens die eigenen Truppen im Ausland auszufliegen resp. mit Munition und Treibstoff zu versorgen ist ja schon der eine Teil der Pointe. Aber blickt doch lieber auf diesen Treppenwitz: wieder Afghanistan, diesmal die guten und mit wahrlich hehren Zielen. Dann ist plötzlich Schluss, binnen weniger Tage. Es gab Geheimverhandlungen der Amerikaner mit den Taliban und nun ist alles gut. Die Mädchen dürfen nicht zur Schule, die Waffen werden nicht den Taliban in die Hände fallen, Reichtum und Wohlstand werden sich ausbreiten. Dass man heute in 2022 nichts mehr von Afghanistan hört, liegt am letzten Akt. Syrien ist ja auch untergegangen im Kanonendonner in Europa. Aber die Syrer haben gewarnt, Russland wird auch in der Ukraine Städte ausradieren. Bewährte und erprobte Strategien setzen sich nun mal durch.

Da wären wir nun, in 2022. Wer macht wohl das Rennen? Wie wird es in Tschetschenien, Georgien der Ukraine ausgehen? Warum sind soviele überrascht? Was haben selbst Vertreter amerikanischer Geheimdienste am Rande des NATO Gipfels 2008 in Bukarest vermutet, weswegen wurde nicht über den Beitritt der Ukraine gesprochen? Wer hat denn da in der Deutschen Regierung seine Memos nicht gelesen, als er 2022 die Regierungsgeschäfte übernahm? Angela Merkel saß neben einem großen Hund zu Besuch bei Präsident Putin. Die Golan-Höhen sind seit 1967 völkerrechtswidrig besetzt. Die Vereinten Nationen, insbesondere alle ständigen Mitglieder hatten mehr als 50 Jahre Zeit, das Leiden beider Seiten in diesem Konflikt zu beenden. Einschnitte tun weh, sind aber für Kompromisse notwendig, die in einer Verhandlungslösung ein Ende des Konfliktes herbeiführen.

Noch immer glaubt man Doktrin, die in den 1970er Jahren verfasst wurden. Und noch viel älter ist der Ausspruch, dass nur die Toten das wahre Ende des Krieges gesehen haben. Wenn der Ukraine-Krieg dann Vietnam-, Afghanistan-, Irak- oder Syrien-Ausmaße angenommen hat, kommen die Details aus den Hinterzimmern zum Vorschein. Es wird auch aufgerechnet, wie viel mehr Bomben als auf Dresden, Hanoi oder Homs niedergingen. Russische Einheiten reisen 6.000 oder mehr Kilometer aus Burjatien oder dem äußersten Osten an. Das sind russische Republiken so groß wie Deutschland und im Fall von Burjatien mit weniger als einer Million Menschen besiedelt. Sollte man diesen Menschen vorwerfen, was sie in der Ukraine tun? Sind das Bürger in Uniform in Kenntnis der unveräußerlichen Menschenrechte? Geben wir dem »brüllenden, tobenden Untermenschen« die gebotene Wertschätzung entgegen? Und wieder Full Metal Jacket: »We are here to help the Vietnamese, because inside every gook there is an American trying to get out.« Am Ende heißt es wieder: zurück an den Ausgangspunkt. Planeten sind das Eine, die vielen Toten der Kriege fehlen in der Begriffswelt der Astronomie.

  1. Boston Review, McNamara und John F. Kennedy über Truppenreduzierung 1963 – Hinter den Kulissen mit McNamara und John F. Kennedy
  2. en.wikipedia.org, 1963 in Vietnam – Kriegsjahr 1963, engl. Wikipedia
  3. UN Minenräumung, 2018 – Vereinte Nationen räumen 2018 noch immer
  4. Reuters, Ukrainians Beware – Reuters kritisch
  5. NATO Gipfel 2008 – Wikipedia zum NATO Gipfel in Bukarest
  6. UN Resolution 497 – UN Resolution 497 Besetzung der Golan-Höhen